Riesenmaschine

06.07.2006 | 14:11 | Vermutungen über die Welt

Rückspielchen


Quark und Antiquark, erstmalig gemeinsam fotografiert.
(Foto: Kuckuck)
Ende der 90er rappelte es ein bisschen in der Sandkiste. Die Sozialwissenschaftler, so maulten die Physiker, waren über die in den Sand gezeichnete Disziplinsgrenze gekrabbelt und spielten mit den Förmchen der Physiker. Schlimmer, die Invasoren um Lacan, Baudrillard, Deleuze und Virilio buken Tortendiagramme und bauten Teilchenzoos in der Physikerecke, dabei hatten sie doch von Quarzkörnern und Backtriebmittelchemie keinen Schimmer. Einer der Physiker, Alan Sokal, schlug zurück und reichte unter dem schönen Titel "Die Grenzen überschreiten: auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation" einen Beitrag zur renommierten Zeitschrift Social Text ein. Der Text enthielt jede Menge weitere schöne Formulierungen, die aber von Sokal absichtlich nicht mit einem kohärenten Sinn ausgestattet wurden. Social Text druckte das Ding klaglos weg, Sokal verging vor Häme in einer buchförmigen Explosion aus Glück, die es sich auch Jahre später noch anzuschauen lohnt. Nach dem Knall herrschte dann erstmal Ruhe im Kasten.

Nun aber schlugen die Sozialwissenschaftler zurück. Einer der ihren tarnte sich nach nur 30 Jahren der Beschäftigung mit der Teilchenphysik erfolgreich als Teilchenphysiker und wurde selbst von echten Teilchenphysikern nicht durchschaut. Das beweist unzweifelhaft, dass der Schaden einer sozialwissenschaftlichen Ausbildung nicht komplett unwiderruflich ist, und wird daher nicht nur Ende des Jahres in einer sozialwissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, sondern sicherheitshalber schon heute vorab in Nature protokolliert. Im Sandburgenkrieg steht es also nun Sokal – Norkal Social, 2:0. Vielleicht reissen sie's beim Elfmeterschiessen noch ra... oh, Abpfiff.


Kommentar #1 von hannes:

ich würde die abseitsfalle der Nature ganz gerne selbst nochmal in der wiederholung sehen? geht das?

06.07.2006 | 14:44

Kommentar #2 von suki:

der artikel wird wahrscheinlich "premium content" sein?

06.07.2006 | 14:56

Kommentar #3 von isegal:

bis auf die namen der zeitschriften ist das vermutlich totale verarsche. wenn nicht: es muss ja nicht alles lustig sein, aber where is the meat?

06.07.2006 | 15:38

Kommentar #4 von Hempel der Atheist:

Nach dem Prinzip der Logik "Ex Falso quodlibet" kann man auch versuchen, aus Schwalben eine These, oder einen Freistoss zu machen. Man muss nur auf einer falschen Annahme beharren. Etwa, dass es einen Unparteiischen Gott gibt. Damit lässt sich alles Beweisen.

06.07.2006 | 16:39

Kommentar #5 von Kai Schreiber:

Das ist eine Nature-News Story, und daher für Nichtabonnenten/Nichtpresse noch nichtmal als Abstract einsehbar. Ich hab deswegen vom Verlinken abgesehen. Hier dann eben trotzdem der Link. In der Papierausgabe auf Seite 8.

06.07.2006 | 19:26

Kommentar #6 von Durchdiesehohlethesemusserkommen:

Gestern fiel mir eine Broschüre für ein Führungskräfteseminar in die Hände, darin wurde, das war eindeutig zu sehen, sehr viel mit der Hermeneutik der Quantengravitation, transformativ oder nicht, gearbeitet.Sie lebt also weiter, die hohle These und schickt ihre hässlichen Nachkommen anschaffen. Überhaupt verstärkt sich mir von Jahr zu Jahr der grimme Eindruck, dass alles, was anderswo keinesfalls zu gebrauchen ist, am Ende in einem Managementseminar noch zu was gut sein wird – und sei's nur dazu, der mächtige Ablassgebühren zahlenden Kundschaft die Illusion zu massieren, man könne mit "innovativer" Methodik (simuliertem Können), neuen gelben Wörtern (simuliertem Wissensvorsprung) bzw. gehäuftem Abkürzungsgebrauch (simulierter Effizienz) das ausgleichen, was einem an Charakter fehlt. Als vermeintliche Zielgruppe (Opfer) dieses ganzen Elends sehnt man sich nach den oben erwähnten Explosionen hämisch-kompetenten Glücks mehr als andere zum Beispiel nach Kuchen, Castrop-Rauxel oder Ruhm und Ehre. Insofern, langes Ranting, kurzer Sinn: Schönes Spiel, Herr Schreiber.

07.07.2006 | 10:17

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